Predigt Heilig Abend 2019 Stiftskirche
Gnade und Friede von Gott unserem Vater und……


Liebe Schwestern und Brüder!

Wir hörten eben die Weihnachtsgeschichte nach Lukas. Eine beeindruckende Schilderung der Geburt Jesu, die mich immer wieder fasziniert. Ich möchte sie deshalb an Weihnachten nicht missen. Wir singen uns vertraute und wohlklingende Lieder. Flackernde Kerzen und der geschmückte Tannenbaum verbreiten einen angenehmen Duft und eine gemütliche Atmosphäre. Manche unter uns bewegen vermutlich schöne Erinnerungen, vielleicht auch wehmütig sehnsuchtsvolle Gedanken oder gespannte Erwartungen. Ich nehme an, alles, was wir heute Abend hier oder zu Hause hören und sehen, riechen und essen, tun und erleben, alles, was uns an Weihnachten umgibt, nimmt viele von uns hinein in eine Woge des Gefühls.

Von dieser Woge des Gefühls möchte ich zunächst einmal sprechen. Und dass Sie mich nicht missverstehen, ich halte Gefühle in unserem Leben, an Weihnachten ebenso wie im Alltag, für sehr wichtig, ja für lebensnotwendig. Die Woge der Gefühle an Weihnachten begegnet uns in vielem alten Brauchtum, vom schönen bis hin zum Kitsch. Die schönen Lieder wie „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ und „O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit“ gehören dazu, aber auch „Süßer die Glocken nie klingen“ und „Stille Nacht, heilige Nacht“. Denken Sie an manche zu Herzen gehende heute erlebte Weihnachtsgeschichte, aber auch an blondes Engelshaar, an Vorstellungen einer weißen Weihnacht, an Wintermärchen. Hierher gehören auch die Vielfalt der Weihnachtskarten und Internetposts, das gegenseitige Beschenken. Gewiss, viele belächeln diese Woge des Gefühls; manche ärgern sich, andere tun sie ab als Gefühlsduselei, als Sentimentalität. Oder sie rümpfen die Nase. Und doch ist es eigentlich erstaunlich, wie viele von uns dabei mitmachen, oft ein wenig verschämt, oft ohne es wahrhaben zu wollen. Es scheint, einmal im Jahr brauchen wir diese heile Welt, in der wir unsere Wirklichkeit vergessen möchten. Sicher steht eine ganze Menge Hoffnung auf eine bessere Welt, als sie uns alltäglich begegnet, dahinter. Wir brauchen offensichtlich diese Gefühlswelt, weil uns der Alltag so hart, zu hart, mitnimmt. Sich durchsetzen, sich behaupten, nur ja keine Gefühle zeigen. So wird es uns lange beigebracht und so wird es auch erwartet. Ich habe den Eindruck, die Welt lässt uns draußen oft keine Möglichkeit, keine Zeit für Gefühle, wie sie an Weihnachten, vielleicht verborgen, undeutlich, verstellt oder übertrieben zum Ausdruck kommen. Und wenn wir heute aus unserer Weihnachtswelt nach draußen schauen, dann sehen wir in diesem Augenblick die Flüchtlingstragödien, klimabedingte Veränderungen und Katastrophen Kriege, Terror, Autounfälle, böse Erkrankungen. Mehr Menschen als je zuvor hungern in unserer Welt. Auch dieses Jahr gibt es keinen Frieden auf Erden. Wir wären ja schon zufrieden, wenn es im Großen wenigstens keine Kriege noch Bürgerkriege mehr geben würde. Es ist beim grauen Alltag unseres Lebens kein Wunder, dass wir Sehnsucht nach dem haben, was uns im Leben fehlt, dass wir Sehnsucht nach Wärme, Geborgenheit, Zartgefühl, Harmonie, Schönheit, nach freundlicher Nähe, liebevoller Einfühlung, gegenseitigem Verständnis, nach Gemeinschaft haben. Vieles davon haben wir in unserer Kindheit erlebt und verbinden es mit Weihnachten. Um so mehr wir Geborgenheit und all das vermissen, um so wichtiger werden uns die Weihnachtstage. Und manchem wird es verständlicherweise sogar so gehen, dass er dann diese Tage weder durch einen Drogenabhängigen, einen Tippelbruder oder Bettler oder einen uns fremden Flüchtling gestört sehen möchte. Geborgenheit, endlich einmal mit der Familie zusammen sein, Freude hat sicherlich eine Menge mit Jesus und mit der Liebe zu tun, die in ihm Person wurde. Jeder von uns hat auch das Recht auf ein schönes Weihnachtsfest. Aber selbst wenn wir wollen, ich meine, wir können nicht, sei es auch nur für drei Tage, so tun, als wäre alles in Ordnung, als könnten wir in diesen Tagen davonlaufen. Mancher wird in diesen Tagen Opfer des Straßenverkehrs, mancher wird krank werden, wird sterben – auch an Weihnachten. Wir können eben nicht so tun, als wäre Jesus nicht für alle Menschen am Kreuz gestorben. Wenn wir Weihnachten feiern ganz ohne das Kreuz, das er für uns getragen hat, dann verkürzen wir die Botschaft der Liebe. Nach der schönen Weihnachtsgeschichte lässt Herodes die Kinder umbringen. Verständlich ist es, dass wir das nicht hören wollen. In aller Not und im Elend der ganzen Welt, der ganzen Schöpfung, in den Opfer von Unrecht, Gewalt und Terror, im Elend geschundener Lebewesen begegnet uns der leidende Christus auch an Weihnachten, auch in diesen Tagen. Weihnachten ist aber auch dort, wo wir anderen unsere Gefühle zeigen, wo wir mitleiden, wenn uns ihr Leid berührt. Jesus ist die Liebe in Person. Er ist bei denen, die von allen anderen verlassen sind. Wir haben Grund, die Geburt eines solchen Menschen, in dem uns Gott selbst begegnet ist zu feiern; auch heute noch. Deswegen ist er für uns der Gottessohn, Dass Gott gerade im Kreuz, im Leiden sichtbar wurde, können viele nicht begreifen, vor allem unsere muslimischen, aber auch jüdische Mitmenschen nicht. Es gibt eine Geschichte, in der sind Freud und Leid eng beieinander, eine moderne Weihnachtsgeschichte. Sie wird Sie betroffen machen – diese Geschichte.

Vielleicht sind Mitleiden und Mitempfinden das Gefühl, das unsere Weihnacht, mit all ihrem schönen, fast zu schönen, mehr mit Jesus Christus verbindet Es geschah in Wilnius, in den Gräben des jüdischen Friedhofs. Es war das einzige Versteck, in dem viele sich vor der Gaskammer retten konnten. Ganz in der Nähe des Mannes, der als Zeuge in Nürnberg diese Geschichte erzählte, geschah folgendes: In einem Grab gebar eine junge Frau einen Sohn. Der 80jährige Totengräber, wegen der Kälte in ein Leinentuch gehüllt, half bei der Geburt. Als das neugeborene Kind seinen ersten Schrei ausstieß, betete der alte Mann: „Großer Gott, hast du endlich den Messias gesandt? Denn wer anderes als nur der Messias selbst könnte in einem Grab geboren werden?“

Diese Geschichte bewegt mich sehr. Vor einigen Jahren ist mir diese Geschichte begegnet und sie hat mich nicht losgelassen. Was ich aus ihr entnehme, möchte ich Ihnen jetzt sagen: Aus den Gräbern entsteht Leben und steigt Hoffnung empor. Dem Karfreitag folgt Ostern. Deshalb gehört zu Weihnachten nicht nur das Kreuz, sondern auch die Hoffnung auf die Auferstehung aus den Gräbern. Deshalb dürfen wir uns an diesen Tagen freuen. Die drei Menschen aus der Geschichte haben übrigens alle die Verfolgungszeit überlebt. Mit Jesus, mit diesem Kind unserer Weihnachtsgeschichte, kommt das Licht der Hoffnung in unsere Welt. Singen wir unsere Lieder, feiern wir, freuen wir uns mit den alten Bräuchen in dem Wissen darum, dass wir die Tage der Freude bitter nötig haben. Für den Erhalt der Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder, Gott, lass uns die Hoffnung nicht aufgeben und die nötigen Schritte tun.
Amen
Und der Friede Gottes, der ……