was wir den Stiftsherren verdanken

Juhu

Was wir den Stiftsherren verdanken
Wolfgang Steffen

Als der Bischof von Metz Anfang des 7. Jahrhunderts die ersten Stifts­herren an die obere Saar schickte, da hieß St. Arnual noch Merkingen. Und die Bewohner, Rheinfranken, die hier im Laufe des 5 Jahrhunderts hingezogen waren, waren immer noch Heiden, auch wenn die frän­kische Oberschicht sich seit König Clodwig, der im 5. Jahrhundert in Reims getauft worden war, das Chri­stentum angenommen hatte.
Es dauerte noch zwei bis drei Jahr­hunderte, bis die Stiftsherren sowie die iro­schottischen Mönche, die in der Pfalz missionierten, die Herzen der Menschen mit der christlichen Botschaft erreicht hatten. Am Grab des Hl. Pirmin in Hornbach kann man noch heute lesen, gegen welche heidnischen Bräuche die christ­lichen Missionare anzukämpfen hat­ten. So verdanken wir den Stifts­herren die Christianisierung der Saargegend im Raume des heutigen Regionalverbandes Saarbrücken. Schließlich verwalteten sie sieben Stiftspfarreien. Neben St. Arnual waren das St. Johann, Saarbrücken, Gersweiler, Güdingen, Bübingen und Hesslingen in Lothringen.
Ja, jetzt hieß das Dorf Merkingen St. Arnual. Auch das verdanken wir den Stiftsherren, weil die Menschen, wenn sie zu den Gottesdiensten und Festen gingen bzw. pilgerten, nicht das Dorf Merkingen besuchten, son­dern die Kirche des Hl Arnualdus. Er ist zwar nicht in Rom kanonisiert worden und die Archäologen fanden auch kein Grab bei der Restaurie­rung in den neunziger Jahren. Auch in der Bischofsliste in Metz taucht er nicht auf. So bleibt er eine Gestalt der Legende, was die Menschen aber nicht daran hindert, ihn an diesem Ort zu verehren, wie das die Millio­nen Jakobspilger in Santiago tun, obwohl Jakobus wohl nie dort gewe­sen ist.
Im 9. Jahrhundert verwüsteten Rei­terscharen aus Ungarn unsere Ge­gend und drangen bis in die Cham­pagne vor, so dass der Gaugraf Odaker das Stift regelrecht neu gründen musste, aus der Zeit stammt auch das Stiftssiegel. Das erste schriftliche Zeugnis über die Exi­stenz des Stiftes finden wir im 12. Jahrhundert in den “gesta“ des Trie­rer Erzbischofs Albero von Mon­treuil, der vor seiner Wahl zum Erz­bischof Propst in St. Arnual war. Weil St. Arnual an der großen Völ­kerstraße vom Rhein in die Champa­gne lag, die die Römer als Fernstraße zwischen Metz und Worms ausge­baut hatten mit einer Brücke über die Saar am Fuß des Halbergs, hatte das Stift einen großen und wichtigen Markt am Festtag des hl. Arnualdus am 9. Oktober. Diese wirtschaftliche Bedeutung, die wir auch den Stifts­herren verdanken, ging im 14. Jahr­hundert verloren, als diese römische Brücke, die tausend Jahre die Saar überquerte, bei einem Eisgang zer­stört wurde.
Die Grafen von Saarbrücken, die es inzwischen seit dreihundert Jahre hier gab, und die auch die Vögte des Stifts waren, d.h. sie hatten das Stift militärisch zu schützen, nützten die­sen Umstand, den Fernverkehr über St. Johann durch die Saarfurt nach Saarbrücken umzulenken und die steile Spichererbergstraße hinauf über die hohe Wacht wieder zur al­ten Römerstraße am Fuß des Spicherer Berges zu führen.
Die Stiftherren selbst waren keine Mönche, sondern Domherren der Metzer Kathedrale. Sie waren Ange­hörige des niederen Landadels und später auch Bürgerliche, die ihr per­sönliches Erbe ins Stift einbrachten und damit das Stift reich machten, so dass sie auch Geld verleihen konnten und sich auch die Saar­brücker Grafen bei ihnen oft ver­schuldeten.
Was wir dann den Stiftsherren zu verdanken haben, ist der Bau un­serer wunderbaren gotischen Stifts­kirche. Nicht dass ihre alte roma­nische Kirche zu klein oder zerstört gewesen wäre, sondern sie waren so reich, dass sie sich diesen neumo­dischen Kirchenbaustil aus Frank­reich leisten konnten. Um den alten quadratischen Chor herum bauten sie zuerst einen mächtigen gotischen Chor und das Querschiff mit großen Fenstern für das neue farbige Licht, das die Gotik auszeichnet. Diesen Teil der Kirche nutzten sie ganz al­leine. Ob ihnen da das Geld ausge­gangen war oder die Pest über Euro­pa gezogen war? Es dauerte fast 100 Jahre, bis sie um das romanische Schiff mit dem Laienaltar, das den Gläubigen zugewiesen war, das neue gotische Schiff, die beiden Seiten­schiffe und den mächtigen Westturm bauten. So wuchs St. Arnual zum zweitgrößten Dorf der Grafschaft heran.
Zur Zeit der „Türckenschätzung“ im 15. Jahrhundert waren es 50 Haus­halte mit 32 Gesindeleute, d.h. über 300 Einwohner. Das Letzte, was wir den Stiftsherren verdanken, ist die Hinwendung zur Reformation. Die letzten katholischen Grafen verhin­derten zwar, dass sie den Laienkelch einführen und auch, dass sie selbst heiraten durften. Als Johann IV., der letzte katholische Graf, in einem Konflikt um eine Stellenbesetzung die Neuwahl eines Dekans verhin­derte, nachdem dieser im gräflichen Gefängnis darbend aufgegeben hat­te, verließen die letzten Stiftsherren das Stift. Die meisten gingen zu den Gemeinden, die inzwischen evangelische Pfarrer suchten. Das Stiftsei­gentum ging in gräflichen Besitz über, aber ohne als Einrichtung auf­gelöst zu werden, sodass es 1815 nachdem die Grafschaft zu Preußen geschlagen wurde, es wieder eine ei­genständige Stiftsverwaltung bis heute gibt.
Mit dem Nachfolger Johann IV, Phi­lipp III, wurde die Grafschaft dann offiziell evangelisch.
Das lag alles vor der entsetzlichen Zeit, die dann im 17. Jahrhundert folgte, die das Dorf fast auslöschte, nicht aber die Stiftskirche. Als der Bischof von Metz nach dem 30­jäh­rigen Krieg seine Kirche zurück­haben wollte, verhinderte der Graf von Saarbrücken dieses. Hundert Jahre später bekamen die Katho­liken, die auf Druck der franzö­sischen Könige wieder ihren eigenen Glauben leben durften, in St. Johann die neue ba rocke Kirche, die St. Jo­hanner Basilika, als Ersatz für die Stiftskirche.
So lebt St. Arnual, das bis zur Einge­meindung nach Saarbrücken 1898, nur ein kleines Dorf am Rande der Stadt war, von dieser geschicht­lichen Bedeutung.