Predigt vom 29.12.2019, Hebr. 13, 8-9b
Gnade und Friede von Gott unserem Vater ………..

Liebe Schwestern und Brüder!

In wenigen Stunden werden viele von uns die letzten Minuten und Sekunden des Jahres zählen, bis die letzte Minute des alten Jahres vergangen und die erste des neuen angebrochen ist. In diesem kurzen Augenblick verdichtet sich etwas, was wir im Laufe des Jahres nur selten bewusst wahrnehmen: Die Zeit vergeht. Wir sind Wandel und Veränderungen unterworfen. In der eigenen Lebensgeschichte nehmen wir das wahr an Geburtstagen oder Jubiläen. Dann geht der Blick zurück und wir erkennen die Veränderungen an uns und an anderen Menschen. Wir sehen, dass die Zeit vergeht, wenn ein neuer Lebensabschnitt beginnt, wenn wir mit Schule und Ausbildung fertig sind und die erste Arbeitsstelle antreten, wenn unsere Kinder geboren werden, wenn sie das Haus verlassen, wir in den Ruhestand gehen, die nächste Generation eine Familie gründet, ein Mensch stirbt. An diesem letzten Abend des Jahres nehmen wir hingegen gemeinsam das Vergehen und den Wandel der Zeit wahr. Gemeinsam geht der Blick zurück auf das, was war. Was hat im vergangenen Jahr neu begonnen? Eine Arbeit, ein neu oder wieder entdecktes Hobby, eine Liebe, das Leben eines kleinen Menschen? Was ist zu Ende gegangen? Vorläufig oder vielleicht auch unwiderruflich? Welche Ereignisse bestimmten das persönliche Leben? Welche gesellschaftlichen oder politischen Veränderungen haben stattgefunden? Kaum einer wird von diesen Fragen heute unberührt bleiben.

Gleichzeitig sind wir in Gedanken schon im neuen Jahr. Wir bedenken die Möglichkeiten, die sich bieten. Wir freuen uns auf Schönes, hoffen auf das Gelingen der Pläne, sehen aber auch mit der einen oder anderen Sorge auf die Zukunft. Am Altjahrsabend halten wir für einen Augenblick inne im Fluss der Zeit. Wir sehen auf die Zeit, die bereits vergangen ist. Und wir versuchen zugleich, den Blick nach vorne zu richten. Dabei ist dieser Blick nach vorn zwangsläufig immer eingeschränkt. Wir können heute Abend so viel Blei gießen, wie wir wollen. Was das kommende Jahr uns bringen wird, wissen wir nicht. „Die Türen des Jahres öffnen sich dem Unbekannten entgegen“, so kann man diese Situation zum Jahreswechsel beschreiben. Im Unbekannten können gute Erfahrungen und Begegnungen, eine fruchtbringende Arbeit oder eine neue Liebe auf uns warten. Genauso aber auch Zeiten des Abschieds oder der Krankheit. Wie auch immer der Wandel beschaffen sein wird, für uns stellt sich die Frage nach dem Halt im Fluss der Zeit. Ein Schiff hat einen Anker, um vom Wasser nicht davongetragen zu werden. Und woran machen wir uns fest im Fluss der Zeit? Woran halten wir uns, wenn wir auf Unbekanntes zugehen? Wenn wir verschiedene Möglichkeiten vor uns haben, und Entscheidungen treffen müssen. Wenn wir dem, was kommt, standhalten müssen?

Die Frage, woran Christen sich in den Veränderungen der Zeit halten können, woran sie sich festmachen, haben sich schon die ersten Christen gestellt. Auch sie mussten Entscheidungen in ihrem Leben treffen, mussten zwischen verschiedenen Möglichkeiten auswählen, mussten in Unbekanntes hineingehen. Sie haben sich auf das Morgen gefreut oder sich gesorgt. Sie haben nach Vergewisserung gesucht.

Was gibt mir im Fluss der Zeit sicheren Halt? Im Hebräerbrief, in unserem heutigen Predigttext, ist die Antwort auf diese Frage eindringlich formuliert: Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Das meint damals wie heute: Festen Halt haben wir darin, dass Jesus Christus durch die Zeiten hindurch ein und derselbe ist und bleibt und der als Jesus von Nazareth und als Auferstandener lebt und leidet wie wir. Und der durch alle Zeiten hindurch zu uns sagt: „ Ich bin bei Euch bis an der Welt Ende“. In ihm ist uns und begegnet uns Gott. Seine Liebe ist ein Anker im Fluss der Zeit.

Festen Halt finden wir auch darin, dass wir das Bekenntnis zu Jesus Christus festhalten. Damit bewahren wir einen inneren Halt, eine feste Orientierung, einen sicheren Ankerplatz im Fluss der Zeiten. Diesen inneren Halt umschreibt der Hebräerbrief mit dem Bild vom festen Herzen: Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade. Ein festes Herz, das meint eine Person, die festen Halt hat. Die meisten unter uns werden Zeiten in ihrem Leben kennen, wo sie sich nach einem solchen festen Herz sehnen, nach dem inneren Halt. „Gib’ mir ein festes Herz, mach es fest in dir“, lautet die Bitte in einem modernen Kirchenlied. Das feste Herz, der innere Halt, sind ein Geschenk Gottes: Es ist Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Wer sich an Jesus Christus orientiert, wer sich auf ihn ausrichtet, wer von seiner bleibenden Gegenwart ausgeht, findet Halt, macht sich fest im Fluss der Zeit. Wie an einem Anker. Der Jesuit Alfred Delp, der wegen Widerstands gegen den Nationalsozialismus inhaftiert war, beschreibt dieses Festmachen an Jesus in einer Tagebuchnotiz vom 1. Januar 1945: „Jesus. Diesen Namen des Herrn und meines Ordens will ich groß an den Anfang des neuen Jahres schreiben. Er besagt, was ich glaube und hoffe, nämlich die innere und äußere Erlösung. Dieser Name besagt weiterhin,
was ich in der Welt und bei den Menschen noch will. Erlösend, helfend bei-stehen. Den Menschen gut sein und Gutes tun.“ Alfred Delps Tagebucheintragung zeigt, was er mit dem Festmachen an Jesus verbunden hat: Auf Erlösung hoffen und Gutes tun. Das sind eindrückliche Vorsätze für dasneue Jahr! Wer sich so an Jesus festmacht, zeigt, auf wen er vertraut und von wem er sein Heil erwartet, wenn es im Fluss des Lebens stürmisch wird oder nicht erkennbar ist, in welche Richtung er weiterfließt. Und er zeigt, an wem er sich orientiert in den eigenen Entscheidungen und Lebensmöglichkeiten.

Wir stehen im Fluss der Zeiten, gehen Unbekanntem entgegen, müssen Veränderungen standhalten oder sie gestalten, müssen Entscheidungen treffen, aus Möglichkeiten auswählen. Das wird uns in kaum einem Moment so bewusst wie zum Jahreswechsel. Und genauso wird uns in diesen Stunden bewusst, dass wir in allem den einen Halt brauchen, an dem wir uns festmachen und von dem aus wir uns orientieren können. In Jochen Kleppers Lied zum Altjahrsabend ist dieser Wunsch wunderbar ausgedrückt: „Der du die Zeit in Händen hast, Herr, nimm auch dieses Jahres Last und wandle sie in Segen. Nun von dir selbst in Jesus Christ die Mitte gewiesen ist, führ uns dem Ziel entgegen. Bleib du uns gnädig zugewandt und führe uns an deiner Hand, damit wir sicher schreiten.“

Wenn wir uns an Jesus Christus festmachen, können wir Entscheidungen fällen, weil wir einen Maßstab haben. Den Maßstab, den Jesus uns in der Nachfolge aufgetragen hat. Und wenn wir uns an Jesus Christus festmachen, können wir einein festes Herz gewinnen, das darin gründet, dass Jesus Christus war, ist und bleibt und in ihm Gott uns durch den Wandel der Zeiten begegnet und begleitet, auch im kommenden Jahr. Das ist wie ein Ankerplatz im Fluss der Zeiten. Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.
Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre…..